29 March 2024

Coronakrise: Estetica im Gespräch mit André Goerner

Jana Dippold, Geschäftsführung Goerner & Company und Partnerin von André Goerner, Gründer und Inhaber Goerner & Company

 André Goerner leitet gleich zwei Geschäfte, den Gentlemen’s Circle, einen exklusiven Barbershop und den La Biosthétique Flagship Salon in Berlin. Estetica sprach mit ihm über die aktuelle Situation. 

Herr Goerner, letzte Woche schlossen Sie sich als Mitglied der Société Française de Biosthétique mit 1800 Partnern und 8000 Mitarbeitern der #wirmachenaufmerksam Kampagne mit einem offiziellen Appell an Bundesminister Altmaier an. Bewirken Aktionen wie diese etwas?

Ja, die positiv mediale Aufmerksamkeit, die Friseure derzeit erleben, rührt genau von solchem Engagement wie z.B. der #wirmachenaufmerksam Kampagne der SFB. Wir bekommen sehr viel positives Feedback aus Politik, Medien und Wirtschaft. Das öffentliche Bild des Friseur*in  der Gesellschaft ändert sich zunehmend zum einem respektvolleren und positiveren. Dieser Trend begann bereits im ersten Lockdown und wird künftige politische Entscheidungen und Wahrnehmung außerhalb und innerhalb unserer Branche nachhaltig verändern. 

Wie steht es um Ihr Geschäft? Wie lange halten Sie noch durch? 

Wir haben den ersten Lockdown sehr gut überstanden, im direkten Vergleich 2020 mit vergleichsweise geringen Verlusten zu 2019 abgeschlossen – was durch eine noch strukturiertere Organisation und Preisanpassung möglich war. Wie lange wir den zweiten Lockdown durchhalten, hängt vor allem davon ab, wie Faktoren, wie Vermieter und Politik agieren bzw. fordern und fördern. Wichtig wäre ab März wieder in Richtung Normalität planen zu können.

Was schätzen Sie, wie viele Ihrer Kunden im Gentlemen’s Circle haben sich mittlerweile von ihrem Bart verabschiedet?

Die Erfahrungen vom ersten Lockdown zeigen, dass das nahezu kein Thema war. Vielmehr war es eine #wirhaltendurch Mentalität, die wir erlebt haben. Ich selbst habe aber meinen Bart deutlich gekürzt, sehr zum Leidwesen meiner Frau. 

Die Diskussion um perfekt frisierte und gestylte Fußballer, aber auch Politiker ging intensiv durch die Presse. Ihr Standpunkt? 

Als Unternehmer ist es für mich wichtig, immer alle Faktoren zu berücksichtigen. Wir haben auf der einen Seite einen zumeist sehr jungen Einkommens-Millionär, der im Übrigen 2x die Woche auf Corona getestet wird und somit schon aus Eigen- und Club-Interesse für ein hygienisches Umfeld sorgt. Auf der anderen Seite eine*n Friseur*in, der mit 60% Kurzarbeitergeld auskommen muss und froh über jeden Zusatzverdienst ist. In der Regel besteht bereits ein längerfristiges Vertrauensverhältnis zwischen den beiden. Der Fußballer zahlt, wünschenswerter Weise, das 3-4 fache, Geld was der Friseur* sonst für seine Leistung verlangt. Ich halte es hier mit Berthold Brecht (aus Die Dreigroschenoper) „Erst das Fressen, dann die Moral“. 

Von einem Mitte 20-jährigen Fußballer kann man leider kein reflektiertes gesamtgesellschaftlich moralisches Vorbildverhalten erwarten (von einem Politiker schon eher), nicht mal außerhalb einer Pandemie (oder kennen Sie einen?) und von einem Friseur erwarte ich auch nicht, dass er heiliger als der Papst ist. 

Außerdem reden wir ja über das Thema und über das Warum und was dazu führt. Das wäre nicht passiert, hätten sich alle an die bestehenden Regeln gehalten, die tragischerweise für Viele mittlerweile nicht mehr existenzsichernd sind. Bei 80% Kurzarbeitergeld wäre der/die ein*e oder andere womöglich nicht darauf angewiesen. Wichtig vielleicht auch in dem Zusammenhang zu wissen: Es gibt Ausnahmen für TV-Aufzeichnungen (Fußball läuft im TV), wo Stylisten auch Friseurtätigkeiten ausüben dürfen – unter geltenden Corona Auflagen. 

Wenn es morgen hieße, die Salons dürfen wieder öffnen, wären Sie sofort in der Lage dazu oder bedarf es da grundsätzlich einer gewissen Vorlaufzeit? 

Die Frage ist nicht ob WIR bereit sind. Die Frage ist, sind es unsere Gäste und sind es die aktuellen StrukturenViele werden weiterhin im Homeoffice sein und die Spanne zwischen den Terminen beim Friseur größer gestalten. Viele bekommen 60-67% Kurzarbeitergeld, der Friseur wird häufig aus den jetzt fehlenden 40% bezahlt. In unserem Fall ist es so, dass ca. 40% unserer Gäste nicht aus Berlin kommen. Davon wollen viele in Hotels übernachten und eine schöne Zeit in Berlin verbringen. Wir sind bei den meisten 5 Sterne Hotels auf Platz 1 der Gästeempfehlung. Nach wie vor sind alle Hotels geschlossen. Wichtig wäre, dass es eine absehbare Aufhebung aller Beschränkungen gibt und wir wieder in Richtung Normalität leben dürfen und können. Hoffen darf man  ja… 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Branche? 

Über Corona hinaus wünsche ich mir eine viel stärkere und selbstbewusstere Positionierung aller guten, ehrlichen und engagierten Friseure intern (hier empfehle ich die neue Clubhouse App) und der öffentlichen Wahrnehmung! Jeder kann den Unterschied zwischen einer Eckkneipe und einem Sternerestaurant erklären, aber den gleichen Unterschied zwischen einem sich in den dunkelsten Grauzonen des Gesetzes bewegenden Haareabschneider (Friseur*in ist ein zu ehrenvoller Begriff als ihn inflationär zu verwenden) und einem Geschäft, das engagiert arbeitet, Mindestlohn oder mehr zahlt, Seminare fördert und fordert, ein offizielles Kassensystem führt und generell sozialversicherungspflichtige Jobs schafft und diesen schönsten Beruf der Welt mit Leidenschaft lebt und auslebt – da wird es schon deutlich schwieriger oder es gibt nur Achselzucken nach dem Motto: „… schneiden doch alle nur Haare“. Stichwort „Guide Michelin für Friseure“, dazu hab ich ganz viele Ideen in petto. 

 

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