24 June 2025

Styling-Queen Vivienne Mackinder im Interview

„Die neue Dauerwelle wird die nächste Revolution in der Branche sein“

Sie ist die Styling-Queen Amerikas, nennt jede Menge Awards ihr Eigen und besitzt eine Präsenz, die jeden Friseur enorm beeindruckt. Wir haben mit Vivienne über Trends, Kreativität und Fehler machen gesprochen. 

Im Ausland sagt man ja von unseren Friseuren, dass sie zwar bestens ausgebildet sind und jede Menge Techniken beherrschen, aber an der Kreativität mangelt es ein wenig…

Oh, das würde ich nicht sagen. Die eine Sache, die ich an deutschen Friseuren liebe, (ich habe viele deutsche Friseure trainiert), ist ihre Disziplin. Sie wollen die Struktur verstehen und arbeiten einfach anders. Es bringt zudem nichts, wenn man jemandem etwas beibringen möchte und er besitzt keine Disziplin. Ein Beispiel: Ich hatte ein deutsches Pferd und war Dressurreiterin. Die Deutschen waren unglaublich gut darin – aufgrund ihrer Disziplin. Und noch eins: Ich habe drei deutsche Autos, weil sie einfach perfekt gebaut sind. Für mich sind die Deutschen brillante Köpfe. Aber wenn man ausschließlich nach Perfektion strebt, nach high quality Konstruktionen und das Beste noch immer nicht gut genug ist, dann lebt man irgendwann in einer Box. Man hat Angst, diese Box zu verlassen, weil eventuell alles zusammenfallen könnte. Man muss sich erlauben, auf seine Stimme zu hören und seiner eigenen Kreativität vertrauen – im Business, im Salonalltag und wenn wir es ganz runterbrechen, dann auch in der Art, wie man ein Blow-Dry bei einer Kundin macht. Es muss nicht Avantgarde sein. Es können kleine Dinge sein. Als ich damals bei Sassoon arbeitete, war ich so enorm diszipliniert und als ich bei Trevor Sorbie war, hieß es: Open your mind! Also: öffne die Tür, tu es einfach. Jeder hat etwas, was niemand Anderer hat. 

Deine Looks sind immer so tragbar und sexy…

Ja, das ist eine moderne Form der Dynamik der Frau und ihre Art, auf sich aufmerksam zu machen. Der Friseur in Deutschland sollte folgendes bedenken: Kommerzielle Looks sind nicht kreativfrei. Anders herum ist es so, dass man jemandem einen Look verpassen kann, der einfach nur aufgesetzt wirkt. Das sieht verkleidet aus. Wenn man kreativ beim Lösen von Problemen vorgeht, wie beispielsweise bei einer Kundin, die eine quadratische Kopfform hat oder eine fliehende Stirn und ihr einen Schnitt plus Farbe kreiert, so dass die Stirn voller und das Gesicht nicht so plakativ ausschauen, dann ist das auch eine Form der Kreativität. Wenn sie zu eng stehende Augen hat, muss ich sie optisch öffnen und helle ihr Haar im Bereich der Augen auf. Das ist Kreativität. Jede Person ist wie eine Leinwand. 

Also bedeutet das nicht, dass ein fleißiger Friseur, der von 9 bis sagen wir 19 Uhr arbeitet, der nicht viel Geld verdient, unkreativ ist?

Nein, er kann sehr kreativ sein. Kreativität ist die Fähigkeit, ein Problem zu lösen. Eine Kundin kommt mit rausgewachsenem Ansatz in den Salon. Das kreative Problem ist: Wie schafft es der Friseur, das Haar und besonders die Farbe wieder in Balance zu bringen, so dass es wieder toll aussieht? Originalität ist sehr schwierig. Originalität kann sein, etwas aus einer anderen kreativen Zeit zu nehmen und dem einen gewissen Twist zu verleihen. Das ist dann zu 5% originell. Ob man zu 100% originell sein kann: ich weiß noch nicht einmal, ob das möglich ist. Es sei denn, die Wissenschaft kommt mit etwas Genialem im Bereich Perming (dauerhafte Umformung, Dauerwelle) an die Öffentlichkeit. Denn in Sachen Perms sind wir absolut nicht auf dem neuesten Stand. Aber das wird schon bald passieren. Das wird die nächste Revolution. Ich sehe keine Originalität im Moment. Im Moment sehe ich den „Make it beautiful“ Trend: Denn jede Frau will schöner aussehen. Sorge als Friseur dafür, dass sich deine Kundin in ihrer eigenen Haut wohl fühlt. Wenn du etwas tun kannst, das für sie als Kundin lediglich einen Unterschied von 5% macht, dann ist das enorm kreativ. Hochkreativ ist es, wenn man eine Gesichtsform sieht und weiß, wie man das Haar dazu kreiert. Wie man einen Hairstyle eher ruhig oder laut gestaltet, welche Kleidung man wählt usw. Die Fashionwelt ist so verrückt. Damals, in den 20ern trug jede Frau dasselbe Kleid. In den 50ern trug jede Frau denselben Dior-Style in Form eines Kleides. Heute kann man Retro, Rock ’n’ Roll, einfach alles tragen. Und was die Frisur betrifft, wenn sie eher der Grunge-Typ ist: Mach es nicht perfekt. Sie mag es vielleicht nicht perfekt. Oder sie ist eine sehr klassische Frau: Sie trägt Calvin Klein, liebt den minimalistischen Look. Dann verträgt sie einfach nur ein Highlight auf der Vorderpartie. Das ist kreativ. 

Was passiert im Kopf eines Friseurs, wenn er sich weigert, langes Haar zu schneiden mit der Begründung, dass das Haar wunderschön ist. Die Kundin selbst aber wünscht sich nichts sehnlicher, als ihr Haar kürzer zu tragen…

Vielleicht hat er Angst. Ich habe Kundinnen, die haben unglaublich schönes, langes Haar. Und ich sage: Ich liebe dein langes Haar. Auch für mich ist es wahnsinnig schwer, dieses schöne Haar abzuschneiden. Meine Lösung ist dann, ihr zu zeigen, wie sie ihr Haar auf verschiedene Weise föhnen und stylen kann, so dass sie nicht das Gefühl hat, von ihrem Haar gelangweilt zu sein. Wenn jemand jedoch sagt, ich will es abschneiden, dann tue ich das. Als Friseur muss man auch den Mut haben, zu sagen: Nein, das ist keine gute Idee. Ich sage dir, was eine gute Idee ist. 

Was ist für dich als Haar-Ikone wichtiger – online oder Print?

Ich würde sagen, wenn ich etwas suche, dann tue ich das online. Das ist der schnellste Weg. Ich suche nach etwas und finde es. Ich folge Menschen auf Social Media, die besonders sind und die ich wirklich bewundere. Einfach, weil ich sehen will, was für sie bei ihrer Arbeit relevant ist. Wenn ich sehen will, was Eugene Souleiman oder Angelo Seminara machen, dann muss ich in die Printausgaben schauen. Denn dort sehe ich die Ganzheitlichkeit ihrer Arbeit. Ich sitze gern und entspanne mich mit einem Magazin, sehe etwas Tolles, aber das ist dann Zufall. Wenn ich wissen will, wer coole Bobs macht, dann finde ich das online. Online und Print sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Meine Zeit ist so eng bemessen, dass ich überlegen muss, was ich damit anstelle. Online ist eine Inspirationsquelle und ich würde sagen, ich bin jetzt mehr online als dass ich Printmagazine durchblättere. 

Was inspiriert dich an Angelo Seminara? 

Er ist ein Genie. Er ist nicht nur ein schöner Mann, ein toller Mensch. Er ist bescheiden, smart, freundlich. Er ist ein Perfektionist. Er findet die meisten seiner Ideen außerhalb seines Jobs. Er ist ein Erfinder und hat seine kindliche Neugier nie verloren. Trevor Sorbie hat uns stets darin bestärkt, neugierig zu bleiben und Fragen zu stellen. Was ich am meisten an Angelo Seminaras Arbeit mag: Er kommt mit einer Idee, setzt sie um und die Looks sind nie hässlich. Sie sind wunderschön. Angelo Seminara besitzt kein großes Ego, er arbeitet leise und besitzt ein Höchstmaß an Kreativität.  

Auf der Bühne kommst du eher britisch rüber, obwohl deine Präsentationen sehr amerikanisch geprägt sind. Fühlst du dich immer noch britisch, obwohl du schon so lang in den USA lebst?

Oh ja, ich fühle mich durch und durch britisch. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich nach Amerika passe. Es ist ein tolles Land, aber meine Werte sind definitiv britisch. Ich mag die englische Höflichkeit, die Geschichte Europas. Ich fühle mich sehr europäisch. Bei mir zuhause ist alles aus Europa. Was ich in Amerika gelernt habe, ist Leadership (Führung), die Power des Marketings. Und ich bin eine sehr private Person, auch das ist sehr britisch, finde ich. 

Wie wird man nun als Friseur kreativ und erfolgreich? 

Durchs Lernen, durchs Fehler machen. Kleine Fehler bringen dich weiter. Davor sollte man keine Angst haben. Schritt für Schritt nach oben ist besser, als den Erfolg so gnadenlos zu wollen und dann nur noch mit einem Tunnelblick durchs Leben zu laufen, wie so manch ein Celebrity. Außerdem sollte man sich darüber im Klaren sein, dass der unbedingte Wille, berühmt und erfolgreich zu werden, immer auch bedeutet, dass man Menschen, die einem wichtig sind, vernachlässigt oder eventuell auch auf dem Weg verliert. Man sollte sich bei seiner Arbeit auf das konzentrieren, was man wirklich gern tut. Ein Colorist verdient in New York zum Beispiel schnell mal 700.000 Dollar/Jahr; ein Stylist nur 250.000 fürs Schneiden. Aber das Geld sollte nicht die Motivation sein, sondern das Können und die Vorlieben. Und egal in welchem Alter, wie viele Jahre Erfahrung ein Hairstylist hat – es ist nie zu spät sich neu zu erfinden – aus seinem gewohnten Bereich, seiner Komfortzone, auszubrechen. 

Meine Botschaft an jeden ist: finde etwas, was dich neugierig macht, etwas was du unbedingt lernen willst, versuch es einfach. 

Vivienne Mackinder ist in der Branche als Powerfrau bekannt. Sie hat mit ihren Seminaren, Unterrichtsstunden, How-to Videos, Bühnenpräsentationen, online oder auch in Einzelseminaren weltweit eine Vielzahl an Hairstylisten ausgebildet. Betrachtet man ihren Beginn am London College of Fashion bis heute, so erscheint die Karriere von Mackinder für viele Friseure eine Traumkarriere zu sein. Sie hat sieben Mal die North American Hairdresser Awards inklusive der Auszeichnung für ihr Lebenswerk gewonnen. Nach ihrer Ausbildung arbeitete sie für Vidal Sassoon, der sie schon bald zu seinem Artistic Director ernannte. Ihren nächsten Erfolg landete sie als International Creative Director bei Trevor Sorbie. Sie stylte die Models auf den Schauen von Vivienne Westwood, bei VH1 und den MTV Awards sowie auf den Fashion Weeks in Paris, London und New York. Für die US-Marke Joico arbeitet sie als Guest Artist Director. 

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